15. September Sag mir, wann Du frühstückst – und ich sage Dir, wie lange Du lebst
Forschung, die die Welt nicht braucht: Ein spätes Frühstück im fortgeschrittenen Alter könnte die Lebenserwartung verkürzen – zu diesem bescheidenen Ergebnis (.. man beachte den Konjunktiv ‚könnte‘) kommt eine mit großem Aufwand betriebene Studie am Mass General Brigham – einem zur Harvard Medical School gehörenden Gesundheitssystem. Die Zusammenfassung der Ergebnisse in einem aktuellen Beitrag von Bionity.com (das nach eigener Beschreibung „führende Fachportal für Life Sciences, Biotechnologie und Pharma“) liest sich, als hätte die Studie der Stein der Weisen im Bereich der Chrononutrition gefunden.
Für eine neu Studie zu Ernährungsgewohnheiten und Lebensdauerunter dem Titel „Essenszeiten-Verlauf bei älteren Erwachsenen und deren Zusammenhängen mit Morbidität, genetischen Profilen und Sterblichkeit“ wuden fast 3000 ältere Menschen nach ihren Esenzeiten befragt. Dann rechnete man über Jahrzehnte, schob Daten hin und her, ließ die Computer heißlaufen – und kam zu einer ebenso erstaunlichen wie atemberaubend banalen Erkenntnis: Wer später frühstückt, ist kränker und stirbt früher. Darauf hätte man auch mit gesundem Menschenverstand kommen können. Natürlich frühstückt der fitte Rentner eher morgens um sieben als die depressive, müde und multimorbide 80-Jährige. Das ist so überraschend wie die Erkenntnis, dass Regen von oben kommt.
Anstatt dies als triviale Beobachtung zu konstatieren, wird daraus ein aufwändiges Großprojekt gebastelt: Latent-Class-Analysen! Polygen-Scores! Hazard Ratios! – beeindruckende Statistik-Alchemie, die aus mageren Selbstauskünften zur Frühstückszeit ein „bahnbrechendes“ Ergebnis zimmert. Mit „Big Science“ hat das ziemlich wenig zu tun. Denn: Inhalt und Qualität der Mahlzeiten? Nicht erhoben. Snacks und Zwischenmahlzeiten? Fehlanzeige. Objektive Messungen per Tagebuch oder App? Zu aufwendig. Stattdessen werden unscharfe Erinnerungsangaben mit hochkomplexen Modelle zurecht gerechnet. Heraus kommt, dass die Uhrzeit wichtiger ist als das, was auf dem Teller liegt. „Unsere Ergebnisse tragen dazu bei, diese Lücke zu schließen, indem sie zeigen, dass ein späterer Zeitpunkt der Mahlzeiten, insbesondere ein verspätetes Frühstück, sowohl mit gesundheitlichen Problemen als auch mit einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko bei älteren Erwachsenen verbunden ist. Diese Ergebnisse geben dem Sprichwort ‚Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages‘ eine neue Bedeutung, insbesondere für ältere Menschen.“
Mit Relevanz für die Ernährungsberatung oder -medizin hat das wenig zu tun. Denn niemand wird ernsthaft alten Menschen empfehlen, um Punkt sieben das Müsli in sich hineinzuschaufeln, nur weil eine Statistik gezeigt hat, dass „Spätfrühstücker“ etwas früher sterben. Wem nutzt dann eine solche Studie noch? Zunächst einmal den Medien, die aus dem Ergebnis eine nette Schlagzeile basteln. Longevity ist „in“, und die Leute stürzen sich auf alles, was „Tipps“ zur Verlängerung ihres ach so endlichen Lebens versprich. Und was fangen nun z.B. Ernährungsfachkräfte damit an? Sie könnten ins Hellseher-Gewerbe wechseln und die Sprechstunde mit der Aufforderung starten: Sage mir, wann Du frühstückst und ich sage Dir, wie lange Du lebst – und als Quelle für Empfehlungen den Kaffeesatz befragen.
Aber wie so oft in der Wissenschaft wird in dieser Studie nach dem Sinn und Zweck des Tuns in Relation zum Aufwand nicht gefragt – und noch weniger interessiert es, ob dieses Tun zu Ergebnissen führt, die für die Praxis von Nutzen sind. Es gibt Studien, die vor allem zeigen, dass Forschende über viel Zeit, Geld und Statistikprogramme verfügen. Die Studie über den „Essenszeit Verlauf“ und seine Folgen g
Dr. Friedhelm Mühleib
Foto: KI