23. September Ozempic-Faces: Abnehmspritze führt immer öfter zum Schönheitschirurgen statt in die Ernährungstherapie
Ernährungsfachkräfte sollten sich eigentlich vor Terminanfragen nicht mehr retten können. Schließlich gilt als Konsens in der Medizin: Parallel zu jeder Behandlung mit der „Abnehmspritze“ brauchen adipöse Patienten eine Ernährungstherapie, wenn der Gewichtsverlust langfristig erhalten werden soll. Diese Botschaft ist leider weder im Bewusstsein der Betroffenen noch in den Praxen der Ärzte und schon gar nicht in den Wartezimmern der Ernährungstherapeut*innen angekommen. Stattdessen können die Schönheitschirurgen ihr Glück nicht fassen: Wie die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) berichtet, fragen immer mehr Patienten Straffungsoperationen nach. Der Grund: Eine häufige Folge des schnellen Gewichtsverlustes ist eine hängende Haut. Ein Problem, für dessen Behebung die plastische Chirurgie zuständig ist, die nun ganz enorm vom Abnehm-Hype profitiert.I n einer Umfrage der DGÄPC gaben mehr als 30 % der Mitglieder an, dass sich vermehrt Patienten nach erfolgreichem Gewichtsverlust durch eine Abnehmspritze einer sogenannten „liftingchirurgischen Operation“ unterziehen. Der starke Gewichtsverlust wiederum führt dazu, dass sich gerade bei Menschen mit schwachem Bindegewebe überschüssiges Gewebe nicht von allein wieder zurückbildet.
„Das ist vor allem am Bauch der Fall und erklärt, warum die Nachfrage hier am stärksten ist“, sagt Mediziner Jens.Aber auch andere Körperregionen wie die weibliche Brust, die Oberarme oder die Innenschenkel seien betroffen. „Zudem verliert auch das Gesicht an Volumen und sieht dadurch teilweise stark gealtert aus“, sagt Jens. In Amerika, wo der Hype um die Abnehmspritzen vor zwei Jahren mit dem Diabetesmittel Ozempic des Herstellers Novo Nordisk begann, spricht man längst von „Ozempic-Faces“: eingefallene, schlaffe Gesichtszüge und Falten.”Ein schneller Gewichtsverlust führt zu einem Volumenverlust im Gesicht, aber er kann auch das Kollagen und Elastin in der Haut beeinträchtigen”, rklärt die in New York ansässige plastische Gesichtschirurgin Dr. Jennifer Levine. “Ein Ozempic Face kann mager, eingefallen und schlaff aussehen. Stellen Sie sich eine Rosine im Vergleich zu einer Traube vor!” DGÄPC-Präsdident Helge Jens konstatiert: „Die Abnehmspritzen erfahren immer mehr Zuspruch, da es Menschen zu Gewichtsverlust mit schnellen Erfolgen verhilft und keine starke Willenskraft erfordert, die zum Beispiel bei einer strengen Diät erforderlich wäre“.
Warum braucht man parallel zur Abnehmspritze überhaupt eine Ernährungstherapie. Dafür gibt es im Wesentlichen 3 Gründe Der Lübecker Prof. Dr. Martin Smollich. Leiter der Arbeitsgruppe Pharmakonutrition am Institut für Ernährungsmedizin in Lübeck in einem aktuellen Instagram-Reel (@ ) erklärt:
• Die Abnehmspritze kann zwar den Start in ein schlankeres Leben erleichtern, der Abnehmerfolg ist aber nur dann nachhaltig, wenn sich auch das Ernährungsverhalten ändert. • Die Nutzer der Abnehmspritze freuen sich zwar darüber, dass sie viel weniger Appetit haben und viel weniger essen. Aber weniger zu essen, bedeuten nicht nur, dem Körper weniger Energie zuzuführen, sondern auch weniger Nährstoffe. Deshalb muss jeder, der die Abnehmspritze anwendet, lernen wie erseinen Körper trotz weniger Appetit optimal mit Nährstoffen versorgt. Ansonsten verliert man zwar Gewich, rutscht aber in eine gefährliche Mangelernährung. • Es ist natürlich toll, wie die Zahlen auf der Waage immer kleiner werden, aber: Es geht ja nicht darum, das Gewicht zu reduzieren, sondern den Körperfettanteil, Wer mit der Abnehmspritze seine Kalorienzufuhr reduziert, nimmt zwar schnell ab, verliert aber eher Muskulatur als Fett – und das ist gesundheitlich super schlecht. Um das zu verhindern, müssen Nutzer der Abnehmspritze lernen, wie sie trotz weniger Appetit die Proteinzufuhr optimieren und ihre Muskelmasse schützen. Also: Wer die Atmenspritze nutzt, braucht unbedingt eine Begleitung durch eine zertifizierte Ernährungstherapeutin, das verhindert den JoJo-Effekt, schützt vor Mangelernährung und verhindert, dass Muskeln statt Fett abgebaut werden.
Ganz klar: Ohne begleitende Ernährungstherapie oder zumindest qualifizierte Ernährungsberatung wird auch die Abnehmspritze dauerhaft keine Lösung sein. Das müssen wir als Ernährungsfachkräfte massiv kommunizieren – sowohl gegenüber Betroffenen alsauch den massgeblichen Entscheidern in der Gesundheitspolitik. Zur Füllung der neuen Form mit gesundem Leben sind Schönheitsoperationen zu wenig. Es wird nicht reichen, ein paar Falten zu liften, und wohlfeile Ernährungstipps von Ärzten ohne Zusatzausbildung Ernährungsmedizin werden auch nicht reichen. Das muss unser Berufsstand überall dort kommunizieren , wo es gehört werden muss, und das ist vor allem Aufgabe der Berufsverbände die sich derzeit in vornehmes Schweigen hüllen. Mit vornehmer Zurückhaltung allerdings wird man die Position der Praxis nicht stärken. Schade Versagen Jammer. Still, stumm und unsichtbar.Sichtbar, gefragt, anerkannt
Dr. Friedhelm Müisthleib
Illustration: KI / Foto: Joe Niamtu